Um ihre neuen Modelle in die Medien zu bringen, tut die Autoindustrie eine ganze Menge. Ein langjähriger Autotester sagt, welche Maßnahmen wirklich wichtig sind.
Von Stefan Anker
Unser Autor hat 1989 seine erste Fahrpräsentation besucht: Mazda MX-5 auf Mallorca. Im Verlauf seiner Karriere hat Stefan Anker für Boulevardzeitungen wie Bild, Super! und B.Z. gearbeitet, war lange Jahre freiberuflich tätig und arbeitete zuletzt als Ressortleiter, Chefreporter und Vertrags-Autor für die Welt-Gruppe. Heute ist Stefan Anker freier Autor und Fotograf, er ist Mitglied der "Friends + Experts" und betreibt zusammen mit seinem Kollegen Paul-Janosch Ersing den wöchentlich erscheinenden Podcast "Autotelefon".
Die perfekte Autopräsentation für Journalisten
Mein Reisepass ist im November abgelaufen, aber ich habe ihn nicht abgegeben – zu viele Erinnerungen. Dicht an dicht Einreisestempel von fernen Ländern, die meisten aus den USA, kaum zu zählen. Ursache für die vielen Stempel ist mein Beruf: Autojournalist. 30 Jahre lang bin ich regelmäßig zu Fahrvorstellungen neuer Autos gereist, und die werden oft fern der Heimat abgehalten. Das ist schön, das fügt dem Beruf eine interessante Note hinzu, aber nach weit mehr als 1000 Veranstaltungen kann ich sagen: Das Reiseziel ist tatsächlich nur die B-Note, wichtig für einen Autojournalisten sind andere Dinge.
Das neue Auto
Ob es ein Dacia ist oder ein Ferrari – alle Beteiligten an einer Fahrvorstellung sollten dem Produkt oberste Priorität einräumen. Die Industrie hat auf die Ernsthaftigkeit des anreisenden Journalisten wenig Einfluss, aber auf ihr eigenes Verhalten schon. Daher sollte die Pressestelle ihren Gästen so viele Möglichkeiten zum Arbeiten bieten, wie es nur geht. Und ich meine damit nicht Arbeitsplätze mit Internet-Computern – die braucht keiner mehr, seit alle Hotels WLAN haben und jeder mit Notebook oder wenigstens Tablet anreist. Arbeitsmöglichkeit bedeutet, dass ich das Auto ausreichend lange fahren kann (zwei Stunden sind mein persönliches Minimum), dass es wenigstens zwei oder drei unterschiedliche Motorisierungen gibt (fast keine Firma traut sich, das jeweilige Basismodell hinzustellen), und dass ich spätestens beim Eintreffen zur Veranstaltung Informationen aller Art (z.B. die Pressemappe) bekomme, am liebsten digital. Wichtig ist aber, dass ich sofortigen Zugriff auf das Material habe, man sollte also QR-Code/Internetlink und USB-Stick anbieten. Einzige Ausnahme von der digitalen Informationswelt: die Preisliste, denn mit einem gedruckten Exemplar arbeitet es sich schneller.
Pressekonferenzen waren und sind ein guter organisatorischer Fixpunkt in der Veranstaltung, und an der Ausgestaltung der Pressekonferenz erkennt man als Journalist auch ganz gut, welche Schwerpunkte der Hersteller setzt. Die offiziell vorgetragene Botschaft ist für mich immer eine interessante Referenz – ein Maßstab, an denen man Auto und Hersteller auch später noch messen kann.
Die Gesprächspartner
Pressesprecher können hervorragende Informationsquellen sein, denn die guten unter ihnen wissen vieles oder sogar alles über das neue Auto und können mich schnell und interessant briefen. Es gibt Kollegen von der anderen Seite des Schreibtischs, denen ich stundenlang zuhören könnte, und es gibt auch solche, die mich – natürlich mit Absicht – auf interessante Themenideen bringen. Genau das ist ihre Aufgabe, ein Pressesprecher kann nur keine Quelle für ein Zitat sein, da bringt man besser einen O-Ton aus dem Management, aus dem Entwicklungsteam, aus Vertrieb oder Design. Daher freue ich mich immer, wenn bei Fahrveranstaltungen solche Experten am Start sind. Altmodische Journalisten handeln dabei gern nach dem Grundsatz „Frage Hans und nicht Hänschen“ – sie wollen also für jede noch so unbedeutende Frage einen Vorstand als Gesprächspartner haben. So habe ich auch mal gedacht, bis ich gelernt habe, dass Vorstände nicht immer über volle Detailkenntnisse verfügen. Ihre Qualitäten liegen in der Personalführung sowie im Erkennen und Durchsetzen von Ideen; als Journalist beobachtet man sie auch, weil sie einen Teil der Unternehmenskultur repräsentieren, und man spricht mit ihnen gern über strategische Fragen. Aber es kann durchaus sein, dass man die konkrete Kraftverteilung eines neuen Allradantriebs besser mit dem Projektleiter des Autos oder dem zuständigen Ingenieur erörtert als mit dem Entwicklungsvorstand.
Jedenfalls erwarte ich, dass Gesprächspartner, die etwas zu sagen haben und Fragen konkret beantworten können, tatsächlich da sind, denn ich will in der Regel einen eigenen Text mit eigener Grundidee schreiben. Dazu brauche ich mehr Input, als ihn die Pressemappe bieten kann.
Vielleicht noch ein Wort zu den Produktmanagern: Das sind großartige Experten, die als Schnittstelle zwischen dem Engineering und dem Marketing fungieren. Darum wissen sie sehr, sehr viel über das Auto, und für ein Hintergrundgespräch sind sie sehr ergiebig. Nur als Zitatquelle haben sie etwa denselben Wert wie ein Pressesprecher: Alles, was mit Marketing, Werbung, PR zu tun hat, wird vom Publikum als weniger glaubwürdig eingeschätzt, darum setze ich O-Töne von Produktmanagern nur im Notfall ein, solche von Pressesprechern praktisch niemals. Ähnlich ist es bei Gesprächspartnern aus dem Vertrieb: Über ihre eigenen Themen (Verkaufsziele, Sonderaktionen, Tageszulassungen etc.) kann man sich sehr gut mit ihnen unterhalten, Zitate aus solchen Fachgesprächen sind teilweise auch für einen Fahrbericht gut verwendbar. Aber kommt die Rede aufs Produkt, mutieren die Vertriebsleute blitzartig zu den obersten Autoverkäufern ihrer Firma und erzählen nur noch, wie großartig alles ist.
Dauer
Typische Fahrveranstaltungen dauern inklusive An- und Abreise rund 36 Stunden, je nach Länge der Flüge. Es ist also meistens eine Übernachtung dabei, die ich persönlich auch sehr schätze. Weil dadurch die Gelegenheit eines gemeinsamen Abendessens entsteht, bei dem man teils auch informell mit den Gesprächspartnern reden kann. Die Atmosphäre ist lockerer, man wechselt auch mal persönliche Worte und hat die Chance, langfristige berufliche Beziehungen aufzubauen. Aus meiner Sicht ist das den zusätzlichen Zeitaufwand wert, und das sollten auch diejenigen in der Industrie bedenken, die aus Kostengründen mehr auf Tagestermine setzen. Denn kommunikative Vor- und Nachteile wirken immer in beide Richtungen – wenn also einem Journalisten daran liegt, zu einem Ingenieur oder Manager eine gute Gesprächsbeziehung aufzubauen, gilt das in vielen Fällen auch umgekehrt. Und dann ist es keine schlechte Idee, diese Verbesserung der Kontakte auch zu ermöglichen.
Anreise und Hotel
Es gibt Autotermine in Deutschland, aber die meisten liegen – schon aus Witterungsgründen – irgendwo in Südwesteuropa, und auch die USA sind ein beliebtes Reiseziel. Die Autofirmen buchen und bezahlen die Flüge, trotzdem habe ich mir angewöhnt, dem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen, weil manchmal die Umsteigeverbindungen viel Lebenszeit kosten. Meine Vermutung ist, dass auf die Meilenkonten der Journalisten mehr Rücksicht genommen wird als auf die Effizienz der Reise. Ich verstehe, warum man nicht mit Billig-Airlines arbeitet (weil die ihren Reisenden im Problemfall nicht besonders gut beistehen), aber wenn es einen Direktflug von Berlin nach Barcelona, Nizza, Genf, wohin auch immer gibt, dann sehe ich nicht ein, warum man mich über Frankfurt oder München bucht. Für einen aktiven Autojournalisten ist eine Dienstreise nach Spanien keine willkommene Abwechslung vom Alltag, sondern einfach nur Alltag, den es zu bewältigen gilt. Ich kenne Kollegen, die auf durchschnittlich zwei Fahrveranstaltungen in der Woche kommen, und irgendwo zwischen 50 und 70 Flugreisen pro Jahr lag ich zu meinen besten Zeiten auch. Ich wollte da keine Bonusmeilen sammeln (die kommen ohnehin von alleine), sondern mit meiner Zeit so effizient wie möglich umgehen.
Unter den europäischen Fünfsterne-Hotels kenne ich sehr viele von innen, das ist schon eine angenehme Lebenserfahrung. Liebend gern würde ich aber bis zu zwei der fünf Sterne wieder abgeben, wenn ich dafür garantiert Business Class fliegen könnte. Denn in meinem Hotelzimmer bin ich oft nur wenige Stunden, die ich in der Regel schlafend verbringe. Die An- und Abreise ist der entscheidendere Part, und der Wert eines Businesstickets bemisst sich nicht im höheren sozialen Status, dem Essen an Bord oder der größeren Menge an Bonusmeilen. Es ist eher eine Frage der Betriebssicherheit. Als Business-Kunde bin ich mit Vorrang dran, wenn beim Umsteigen etwas schief geht; ich kann zwei Handgepäckstücke mitnehmen, manchmal kann ich auch selbstständig Flüge umbuchen, um evtl. zwei Stunden früher zu Hause zu sein. Außerdem habe ich einen freien Platz neben mir, auf dem ich Arbeitsunterlagen ausbreiten kann, und vor allem kann ich Wartezeiten an den Flughäfen in der Lounge verbringen, was neben dem Komfort auch die Möglichkeit zum Arbeiten bietet. In den letzten Jahren gibt es einen Trend zur Economy-Reise (außer interkontinental), was ich aus Kostengründen gut verstehen kann. Aber ich hätte nichts dagegen, wenn man lieber am Hotel und am Essen spart und dafür stets vernünftige Flüge anbietet.
Location und Strecken
Das hat sich gebessert in den letzten Jahren: Hotels werden entweder in Flughafennähe gebucht, oder die Testwagen stehen direkt am Flughafen zur Verfügung, und dann fährt man damit zum Hotel – meine Lieblingslösung. Aus den frühen Jahren kann ich mich an Bus- oder Shuttletransfers von mehr als 60 Minuten erinnern, bis man nach vierstündiger Flug-Anreise endlich da war, wo man sein wollte: am Steuer des Autos, über das man zu berichten hatte.
Gewöhnlich werden von den Autofirmen Teststrecken ausgearbeitet und im Navigationssystem hinterlegt. Ich nutze diesen Service meistens auch, weil in der Regel Profis am Werk sind und einen guten Mix aus Stadt-, Autobahn- und Landstraßenverkehr anbieten. Wenn das mal nicht so ist, kann man immer noch frei durch die Gegend fahren und sich am Ende vom Navi zum Hotel führen lassen. Man muss davon nur den Beifahrer überzeugen, denn Fahrvorstellungen absolviert man fast nie allein, sondern zu 95 Prozent als Zweierteam.
Eine Besonderheit sind Termine auf abgesperrten Rund- oder Rennstrecken oder auch auf Offroad-Parcours. Das ist grundsätzlich nützlich und fördert Erkenntnisse, außerdem macht es Spaß. Allerdings nur, wenn das Auto zur Strecke passt. Ich erinnere mich an Testfahrten auf dem F1-Kurs von Barcelona – mit einer kompakten Mittelklasselimousine. Das war ein schönes Eigentor der Geschäftsführung, weil der 110 PS starke 1,6-Liter-Benzinmotor völlig überfordert war mit den plötzlich um Rundenzeiten ringenden Autojournalisten. Fahrwerk und Bremsen gerieten auch an ihre Grenzen oder darüber hinaus, und es gab ein paar negative Testberichte, die sich der Hersteller leicht hätte ersparen können. Wenn man ein Auto, das kein Sportwagen ist, so zeigen will, dass fahrdynamische Neuerungen erlebbar werden, nimmt man besser keine Rundstrecke, sondern entweder das Testgelände des Herstellers, einen wenig genutzten Regionalflughafen oder ein Fahrsicherheitszentrum. Hier lassen sich genau die Übungen konzipieren, auf die man hinaus will, wir Journalisten können gefahrlos die neue Technik erleben, und im Idealfall gibt es die Möglichkeit der direkten Rücksprache mit den Ingenieuren.
Kollegen und Konkurrenten
Früher war nicht alles besser, aber übersichtlicher. Es gab eigentlich nur eine Gruppe von Journalisten bei Fahrvorstellungen: Menschen, die für Zeitungen schrieben. Man kann sie auch alte weiße Männer nennen. Die Tester von den Auto-Magazinen hatten ihre eigenen Vorab-Termine (wg. des längeren Produktionsvorlaufs), Radio und Fernsehen ignorierten das Thema Auto weitgehend, und das Internet war noch nicht erfunden. Heute werden die Autogeschichten deutlich vielfältiger erzählt, die eingeladenen Personen sind im Durchschnitt jünger, und es gibt mehr Frauen (die aber immer noch deutlich in der Minderheit sind). Ein Chefreporter der "Welt", wie ich es war, hat für seinen 200-Zeilen-Stück mit Hintergrund und Zitaten einer gewissen Fallhöhe ganz andere Bedürfnisse als ein Youtuber, der ein 45-Minuten-Video produziert, oder ein Influencer, der eine Instagram-Story erstellt und dabei auch seine eigenen Befindlichkeiten zum Thema macht.
Die autojournalistische Welt ist unjournalistischer geworden, auf der anderen Seite werden heute mehr Geschichten erzählt, die auch noch eine größere Bandbreite abdecken. Das ist eigentlich eine gute Entwicklung, auf die die Industrie leider so reagiert, dass in der Regel getrennte Termine für die neuen und die klassischen Geschichtenerzähler organisiert werden. Aus praktischen Gründen kann ich das nachvollziehen, da allein die Anforderungen an die Dauer der Testfahrt sehr unterschiedlich sind (Menschen, die filmen, brauchen den Testwagen viele, viele Stunden). Aber ich fände es eigentlich interessanter, wenn sich die Gruppen mehr durchmischen würden.
Fazit
Eine Autovorstellung ist eine Autovorstellung ist eine Autovorstellung. Ich wünsche mir das Produkt stets im Vordergrund, gut informierte und motivierte Pressesprecher, die Hintergrundwissen parat haben und Gesprächspartner vermitteln können. Das Ganze darf gern in der Nähe einer Test- oder Rundstrecke stattfinden, wenn das Auto zu fahrdynamischen Übungen oder zu Demonstrationen neuer Assistenzsysteme einlädt. Das Hotel und der kulturelle Hintergrund der Location bedeuten mir wenig, auf Wellness, Kultur, Sport und alles andere, was nur meinem persönlichen Wohlbefinden dient, kann ich verzichten. Ein schönes Abendessen darf, soll und muss dagegen sein, denn in meinem Beruf geht nichts über Kommunikation.